Die Sache mit dem "Schonen" - Predigt vom 30. August 2020

Pastor Michael Ebener über II. Korinther 1, 23

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.

1.
Die Sache mit dem Schonen …

Wenn es in der Peristaltik rumort,
gibt’s Schonkost.
Wenn das Seidenblüschen in die Wäsche muss,
nur im Schongang.
Wenn das Rehlein im Frühjahr durch die Flure springt,
ist Schonzeit.

Etwas, sich selbst oder gar einander „schonen“,
haben wir uns sprachlich leider abgewöhnt.
Schonungslos sind wir deshalb nicht,
wir sprechen eher von „Rücksicht nehmen“,
„Sorgfalt üben“, „achtsam sein“,
wenn wir die Haltung benennen,
die aus dem „Schonen“ stammt.

Schön!
Und es soll tatsächlich ein uralter Zusammenhang bestehen
zwischen beiden Worten:
„schön“ und „Schonen“.
Ganz so, als könne nur „schön“ sein,
was wir in Rücksicht nehmen, mit Sorgfalt üben,
womit wir achtsam sind.


2.
Ich bin nur deshalb nicht wieder nach Korinth gekommen,
sagt Paulus,
um Euch zu schonen.II. Korinther 1, 23 – Postkarte der ErKAuch das ist schön:

Paulus nimmt Rücksicht, übt sich in Sorgfalt, ist achtsam –
besucht die Schwestern und Brüder in Korinth nicht,
um sie zu schonen.
Er verzichtet auf den Besuch, auf das Wiedersehen,
die Freude, die Umarmungen,
obwohl er all das doch wollte:
Ich hatte mir vorgenommen,
gleich zu Beginn meiner Reise zu Euch zu kommen.
Ich wollte Euch also schon
auf dem Weg nach Mazedonien besuchen.
Und auf der Rückreise von Mazedonien
wollte ich noch einmal zu Euch kommen. II. Korinther 1, 15f.

Aber nun bin ich nur deshalb nicht wieder nach Korinth gekommen,
um Euch zu schonen.

Es ist niemand unter uns,
dem dieser Gedanke fremd wäre:
einander nicht besuchen,
um die anderen zu schonen
vielleicht auch sich selbst:
Ich bin nur deshalb nicht gekommen,
um Euch zu schonen.

Überlegt einmal – überlegen Sie einmal:
Wo sind wir, wo seid Ihr, wo sind Sie
in den letzten Wochen und Monaten
überall nicht hingegangen oder hingefahren,
nicht hingekommen,
um andere Menschen zu schonen,
um Rücksicht zu nehmen, Sorgfalt zu üben,
achtsam zu sein, vorsichtig,
nichts zu riskieren, niemanden zu gefährden?

Das Feld ist geöffnet!
Lasst uns Anteil nehmen … Kurze Beiträge aus der Gemeinde


3.

Ich bin nur deshalb nicht wieder nach Korinth gekommen,
sagt Paulus,
um Euch zu schonen. II. Korinther 1, 23

Paulus und die Korinther*innen im Jahre 56
sind nicht kurzerhand auf unsere Gegenwart zu übertragen –
Paulus verzichtet auf den Besuch
nicht aus Gründen des Infektionsschutzes!

Der knappe Vers deutet die „Beziehungskiste“ an,
in die wir da geraten:
Der Apostel hat keine Familie, keine Kinder.
Die Gemeinden nehmen diese Stellung ein.
Er hat die Gemeinde in Korinth selbst gegründet.
Und wie beim Großziehen von Kindern Konflikte entstehen,
so erlebt Paulus das beim Wachstum einer jungen Christenheit.

Er legt den Samen, begießt, hegt ein,
alles gedeiht --- der Apostel zieht weiter.
Schon nach kurzer Zeit setzt „Wildwuchs“ ein:
rivalisierende Gruppen, moralische Missstände,
Unsicherheiten im Umgang mit den Heid*innen,
unwürdige Zustände im Gottesdienst und beim Abendmahl –
einige sind schon betrunken,
bevor andere überhaupt etwas bekommen haben.

Wieso – wo ist das Problem?
Alles ist mir erlaubt, behaupten die Korinther*innen.
Und Paulus gesteht zu:
Ja, alles ist mir erlaubt,
aber nicht alles dient zum Guten. I. Korinther 6, 12

Ihr sollt doch in Freiheit Rücksicht nehmen auf die Schwächeren,
Sorgfalt üben, achtsam sein –
sie schonen!

Dass die eigene Freiheit an der Freiheit des Anderen Grenzen hat,
lernen die Korinther*innen nun noch einmal neu
und der Apostel liest ordentlich die Leviten.
Und als sie sich dann auf den Weg machen,
kommen sich Gemeinde und Apostel auch wieder näher.

Dass Paulus die Gemeinde jetzt nicht besucht,
wo sie gerade wieder zu sich selber findet,
gründet im beklagenswerten Zustand des Apostels.
Was dies ausgelöst hat, wissen wir nicht.
Traurig wie ich war,
wollte ich nicht noch einen Besuch bei Euch machen,
räsoniert er:
Denn wenn ich Euch mit meiner Traurigkeit anstecke,
an wem sollte ich dann noch Freude haben?
Schließlich wärt Ihr ja durch mich
traurig gemacht worden. II. Korinther 2, 1f.

Wenn man es so betrachtet,
sind uns Paulus und die Korinther*innen im Jahre 56
doch unglaublich nahe:
einander nicht anstecken mit Traurigkeit, einem Virus,
weil man die Folgen fürchtet –
auch die Folgen fürs eigene Gewissen! –,
wenn man nicht Rücksicht nimmt,
nicht Sorgfalt übt und achtsam ist.

Ich bin nur deshalb nicht wieder nach Korinth gekommen,
um Euch zu schonen.
Ich bin nur deshalb nicht wieder nach … aus den Gem.beiträgen gekommen,
um Euch zu schonen!


4.
„Hast Du schon mal einen getroffen,
der Corona hat?“
fragen Querdenker*innen derzeit gerne
und ziehen damit all das in Zweifel,
was wir in den letzten Wochen und Monaten
auf uns genommen und nicht getan haben,
um einander zu schonen.

Ich habe tatsächlich noch niemanden getroffen,
der Corona hat,
nur von welchen gehört, die es überstanden haben.
Ich rechne täglich damit,
auf jemanden mit Corona zu treffen –
vielleicht sogar jemanden, der es nicht überstanden hat.
Bei 240.000 Betroffenen in einem 80-Millionen-Volk
dauert das, rein statistisch, eine Weile –
bei 500 Infizierten auf 118.000 Einwohner*innen in Göttingen
dauert es auch.

Was soll diese Frage überhaupt?
Sie ist kein Ausweis von Querdenken,
eher von Verquer-Denken:
Ich habe auch noch niemand getroffen,
der Pest und Cholera hat,
und trotzdem sagt mir bescheidener Menschenverstand,
dass das auch nicht nötig ist,
um von der Gefährlichkeit von Pest und Cholera überzeugt zu sein,
und all das zu tun, was nötig ist,
um eine Infektion zu verhindern!

Ich möchte es lieber wie Paulus halten:
Rücksicht nehmen, Sorgfalt üben, achtsam sein –
ich bin nur deshalb nicht wieder nach Korinth gekommen,
um Euch zu schonen.
Aber eben nicht nur,
weil bescheidener Menschenverstand mir das rät,
sondern weil das der Nächstenliebe entspricht:
Wenn wir in Frieden beieinander wohnten,
Gebeugte stärkten und die Schwachen schonten,
dann würden wir den letzten heilgen Willen
des HERRn erfüllen.EG 221, 2

Und zugleich gilt uns die Freiheit der Korinther*innen
in JESUS CHRISTUS:
Alles ist mir erlaubt,
aber nicht alles dient zum Guten.

Großdemonstrationen sind nicht die Orte,
an denen alles erlaubt ist.
Diskutieren und Demonstrieren sind Freiheitsrechte,
aber was gestern in Berlin geschehen ist,
ist mehr als nur "beschämend".

Dabei kann es durchaus Momente geben,
wo ich um der Nächstenliebe willen abwägen muss,
ob ich um jeden Preis die Schwachen schone,
oder die Maske ablege und die Abstandregel breche,
besuche, berühre und umarme,
um die Gebeugten zu stärken.

Viele von uns haben solche Momente erlebt
und es werden weitere folgen.
Die Hand der 92jährigen nehme ich an,
die Stirn des Täuflings benetze ich, den Sterbenden segne ich,
und die, die ich liebe, besuche und berühre ich!

Auch dies erfüllt den letzten heilgen Willen des HERRn
vielleicht sogar deshalb, weil es schön ist …
Amen.

 

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