"Soldat, Soldat" - Predigt von Pastor Michael Ebener mit Lukas 23, 47 vom Karfreitag 2022
Der "Hauptmann unterm Kreuz" ist anders: Er erkennt im Gekreuzigten den Mitmenschen.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen.
1.
Und als sie kamen an die Stätte,
die da heißt Schädelstätte,
kreuzigten sie IHN dort … Lukas 23, 33
Soldat Soldat in grauer Norm
Soldat Soldat in Uniform
Soldat Soldat, ihr seid so viel
Soldat Soldat, das ist kein Spiel
Und sie verteilten SEINE Kleider
und warfen das Los darum. Lukas 23, 34b
Soldat Soldat, ich finde nicht
Soldat Soldat, dein Angesicht
Soldaten sehn sich alle gleich
Lebendig und als Leich
Es verspotteten IHN auch die Soldaten,
traten herzu und brachten IHM Essig … Lukas 23, 36
Soldat Soldat, wo geht das hin
Soldat Soldat, wo ist der Sinn
Soldat Soldat, im nächsten Krieg
Soldat Soldat, gibt es kein Sieg
… und sprachen:
Bist DU der Juden König,
so hilf DIR selber! Lukas 23, 37
Soldat, Soldat, die Welt ist jung
Soldat Soldat, so jung wie du
Die Welt hat einen tiefen Sprung
Soldat, am Rand stehst du Wolf Biermann, Soldatenmelodie, 1965
Als aber der Hauptmann sah,
was da geschah,
pries er GOtt und sprach:
Fürwahr,
dieser ist ein frommer Mensch gewesen. Lukas 23, 47
2.
Soldat Soldat in grauer Norm
Soldat Soldat in Uniform
Soldaten sehn sich all gleich –
sind sich alle gleich?
Wolf Biermann irrt:
Dieser Soldat ist anders!
Deshalb sind seine Worte im Gedächtnis geblieben,
auch wenn die Evangelisten nicht einig sind,
was er denn wirklich gerufen hat:
Wahrlich,
dieser Mensch ist GOttes SOHN gewesen Markus 15, 36 par. –
oder doch bloß ein frommer, ein gerechter Mensch, ein Unschuldiger,
der dort am Kreuz vergeht?
Der Hauptmann erkennt,
dass hier etwas Grundfalsches geschehen ist.
Zugleich ist eine andere Macht ins Geschehen einbezogen
als diejenige, die Urteile fällt und Waffen trägt.
Die durch Befehl und Gehorsam strukturierte Welt
gerät hier ins Wanken.
Die Worte des Hauptmanns unterm Kreuz
sind auch ein erstes öffentliches Bekenntnis
in die weltwandelnde Kraft JESU CHRISTI:
Dabei ist es nicht die erste Hinrichtung,
die der Hauptmann befehligt –
es ist auch bestimmt nicht der erste Unschuldige,
den er mit seinen Leuten zu Tode bringt.
Sein Dienstherr Pilatus ist nicht zimperlich,
wenn es ums Verhängen von Todesurteilen geht –
ganz im Gegensatz zum biblischen Eindruck:
Kreuz steht an Kreuz auf dem Weg zur Schädelstätte!
Das Hinführen der Verurteilten zur Hinrichtungsstätte
unter Gejohle eines schaulustigen Volkes
ist Alltagroutine für Hauptmann und Soldaten.
Die geschäftige Grausamkeit,
die der Foltertod der Delinquenten fordert,
geht ihnen mittlerweile leicht von der Hand:
Befehle sitzen wie Hammerschläge.
Und Schreie dringen nicht mehr durch.
Und irgendwann hört es ja auf …
Die Langeweile,
die sich dann einstellt,
wenn der Tod des Gekreuzigten auf sich warten lässt –
oft über Stunden,
manchmal über Nacht,
vertreiben sich die Soldaten mit Spielchen:
… verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
Der Hauptmann lässt sie gewähren.
Wenn Menschen einander kreuzigen,
sind wilde Energien geweckt.
Wer da von außen eingreift,
muss selber fürchten,
dass die Gewalt sich wendet.
Von sich aus tut das nämlich niemand,
auch kein Soldat:
einen anderen kreuzigen –
Wehrlose erschießen und vergewaltigen,
Raketen auf einen Bahnhof mit Flüchtlingen abfeuern …
Und auch als die Soldaten IHN verspotten,
lässt der Hauptmann das weiterhin zu –
als sie IHM Essig bringen,
ein wenig Flüssigkeit,
nicht aus Menschenfreundlichkeit,
sondern damit ER länger durchhält …
Sadismus ist die Versuchung jeder Gewaltanwendung.
Auch Gewaltanwendung unter staatlichem Monopol,
auch im Falle legitimer Verteidigung,
steht unter dieser Versuchung –
fast unwiderstehlich wird sie bei etwas so Monströsem
wie der quälend langsamen Vollstreckung eines Todesurteils.
Da kommt Finsternis über das ganz Land bis zur neunten Stunde
und die Sonne verliert ihren Schein!
Die Welt hat einen tiefen Sprung
Soldat, am Rand stehst du
Das ist so.
Aber ob er herunterfällt,
ist nicht ausgemacht …
3.
Als aber der Hauptmann sah,
was da geschah,
pries er GOtt und sprach:
Fürwahr,
dieser ist ein frommer Mensch gewesen.
Was geschah denn da,
das so anders ist
als alle Hinrichtungen vorher,
die der Hauptmann befehligt hat
und die seine Soldaten ausgeführt haben?
Den Evangelien nach ist dieser GEKREUZIGTE,
dieser am Schandpfahl Sterbende anders.
SEINE Vergebungsbereitschaft den Folterknechten gegenüber
kennt keine Grenzen:
VATER, vergib ihnen,
denn sie wissen nicht, was sie tun –
das wissen sie schon und wissen es nicht,
nur wir, die wir nachkommen!
SEINE Duldsamkeit den Schmähenden gegenüber
ist unerschütterlich.
ER verzichtet auf jedes Widerwort, auf jeden Machterweis:
So hilf dir selber –
tut ER nicht!
SEINE Zugewandtheit den Gestrauchelten gegenüber
bricht alle Urteile, auch die mit Recht:
Heute wirst du mit MIR im Paradies sein –
der, dem aller Trost versagt ist, tröstet Todgeweihte.
SEINE Ergebenheit fügt sich klaglos:
VATER,
ICH befehle MEINEN Geist in DEINE Hände!
Ein letzter Atemzug.
Und als er das gesagt hatte,
verschied ER.
Als aber der Hauptmann sah,
was da geschah,
kommt er zum „Glauben“,
so die frömmste Lesart des Geschehens –
als er sieht und miterlebt,
was bei dieser Kreuzigung anders ist,
verändert sich seine innere Haltung
und sein Blick auf das Opfer der eigenen Gewalttat:
Dieser Mensch war wirklich unschuldig –
was haben wir getan?
Und er schlägt sich an die Brust,
senkt reuevoll das Haupt.
Und was,
wenn bei dieser Kreuzigung gar nichts anders war –
nur ein weiterer jammervoll Geschundener an einem Pfahl,
der nicht mehr spricht, nur winselt,
weil sie ihm die Glieder gebrochen haben,
dem die Zunge am Gaumen klebt
und der in der Mittagshitze seinen Geist aushaucht?
Was,
wenn die Umstehenden umkehren,
aber nicht aus Reue und Scham,
sondern weil das Schauspiel vorbei ist?
Und was,
wenn der Hauptmann sich sein „Werk“ nun anschaut,
und das seiner Soldaten,
deren Freude an der Gewalt er nicht zügeln konnte,
und nur erschrickt über sich und über uns –
die gesamte Gattung „Mensch“,
der sowohl Folterer wie auch Folteropfer angehören?
Was dann?
Dann entstünde aus dem Karfreitag,
aus all den „Karfreitagen“ von selbst eine Regung,
die etwas in Bewegung bringt –
dann hat die Welt immer noch den tiefen Sprung
und der Hauptmann steht am Rand,
aber er fällt nicht,
weil er im geschundenen JESUS seinen Mitmenschen wiedererkennt!
Der Hauptmann ist des Tötens überdrüssig
und erschrickt vor all dem Blut,
das verschuldet und mit Recht
und das unschuldig und zu Unrecht vergossen wird,
wenn Gewalt erst einmal erlaubt ist.
Wird er weiterhin Hinrichtungen befehligen,
kann er den Befehlen seines Dienstherrn noch gehorchen?
Das wissen wir nicht.
Aber der Hauptmann gibt GOtt und Mensch die Ehre
in diesem Unschuldigen,
der das Leben durch sein Mittun verloren hat.
Über dem Hauptmann,
wie über allen Schuldigen,
Soldat oder nicht Soldat:
bleibt deshalb gültig,
was der Karfreitag erwirbt:
VATER, vergib ihnen –
um des EINEN willen,
der wirklich und anders Mensch ist.
Wer daraus zutraut,
auch sich selbst zu vergeben,
wird nicht dieselbe, wird nicht derselbe bleiben!
4.
Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich
Und brechen ab sogleich
Du, lass dich nicht verbittern
In dieser bitt'ren Zeit
Die Herrschenden erzittern
Sitzt du erst hinter Gittern
Doch nicht vor deinem Leid
Auch nicht vor deinem Leid
Du, lass dich nicht erschrecken
In dieser Schreckenszeit
Das woll'n sie doch bezwecken
Dass wir die Waffen strecken
Schon vor dem großen Streit
Schon vor dem großen Streit
Du, lass dich nicht verbrauchen
Gebrauche deine Zeit
Du kannst nicht untertauchen
Du brauchst uns und wir brauchen
Grad deine Heiterkeit
Grad deine Heiterkeit
Wir woll'n es nicht verschweigen
In dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
Wir wolln das allen zeigen
Dann wissen sie Bescheid
Dann wissen sie Bescheid Wolf Biermann, Du lass dich nicht verhärten, 1973
Amen.